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  4. Antisemitismus: Heiko Maas reagiert ablehnend auf Felix Klein

Deutschland Antisemitismus

„Kippa in der U-Bahn ist selbstmörderisch“

Klein ruft Bürger dazu auf, am Samstag Kippa zu tragen

Felix Klein ruft alle Bundesbürger dazu auf, am kommenden Samstag die Kippa zu tragen. Mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung setze man ein wichtiges Zeichen der Solidarität mit den Juden, so der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung.

Quelle: WELT/ Lukas Axiopoulos

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Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung warnt, nicht überall in Deutschland könne man die jüdische Kopfbedeckung gefahrlos tragen. Außenminister Maas hingegen findet, die Kippa solle nicht versteckt werden. Hat er recht?

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat der Debatte über Judenhass in Deutschland eine neue Episode hinzugefügt. Vor einigen Tagen hatte der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, gesagt: „Ich kann Juden nicht empfehlen, jederzeit überall in Deutschland die Kippa zu tragen.“ Er habe seine Meinung zu früher leider geändert.

Maas reagierte auf Twitter ablehnend auf Kleins Äußerungen. „Niemand soll seinen jüdischen Glauben jemals wieder verstecken müssen – weder in Deutschland noch anderswo“, schrieb er. „Statt die Kippa zu verstecken, müssen wir alle noch deutlicher #Gesichtzeigen gegen Antisemitismus.“ Damit legte er zumindest nah, dass es falsch sei, die religiöse Kopfbedeckung aus Angst vor Anfeindungen im Schrank zu lassen.

Der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, wurde noch deutlicher mit Blick aus Kleins Warnung. „Das Gegenteil ist wahr. Tragt eure Kippa. Tragt die Kippa eures Freundes. Leiht eine Kippa und tragt sie für eure jüdischen Nachbarn. Bringt Leuten bei, dass wir eine vielfältige Gesellschaft sind.“

Unterstützung bekommen die beiden von Yehuda Teichtal, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Berlin. Das Tragen der Kippa müsse für alle Menschen möglich sein, sagt Teichtal in einer Reaktion. „Wenn wir die Botschaft verbreiten, dass die Menschen lieber keine Kippa tragen sollten, dann überlassen wir das Feld den Gegnern der Demokratie.“ Es sei die Verantwortung des Staates, zu gewährleisten, dass alle Menschen ihre Religion frei und auf ihre Weise ausüben könnten. Es sei keine Option für Juden, ihre Identität zu verbergen.

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Auf WELT-Anfrage nimmt Klein Stellung zu den Reaktionen von Maas und Grenell. „Ich sehe es als positives Zeichen, dass innerhalb dieser Debatte von verschiedener Seite, unter anderem von Bundesminister Maas oder dem US-Botschafter, zur Solidarität mit Juden und zum Tragen einer Kippa aufgerufen wird.“

Seine Warnung sei als Weckruf gemeint gewesen, um eine politische Debatte über die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland in Gang zu bringen. Er sei der festen Überzeugung, dass es in Deutschland mehr Wachsamkeit und Zivilcourage brauche.

Dass die Aussage nicht umkommentiert bleiben würde, sei ihm durchaus bewusst gewesen. Er habe mit Widerspruch gerechnet. „Ich betrachte es als Erfolg, dass es nun zu einer breiten Diskussion über die Sicherheit der jüdischen Gemeinschaft gekommen ist.“

Andere in der jüdischen Community sind skeptischer. Zu zahlreich sind die Berichte über Angriffe auf Kippaträger und andere als Juden erkennbare Menschen. Zuletzt wurde ein Schüler in Berlin-Charlottenburg von seinen Mitschülern verprügelt, offenbar weil er Jude ist.

Am 18. Mai hatten Unbekannte im niedersächsischen Hemmingen auf der Wohnungstür eines Rentner-Ehepaares sowie am Eingangstor ihres Schrebergartens das Wort „Jude“ aufgesprüht und ein Feuer gelegt.

Zu viele Übergriffe

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In Wien wurde zum wiederholten Mal die Ausstellung „Gegen das Vergessen“ attackiert, dabei wurden die Porträts von Zeitzeugen des Nazi-Terrors zerschnitten. Und das sind nur die Meldungen der vergangenen zwei Wochen.

„Ich würde Juden nicht empfehlen, die Kippa offen zu tragen“, sagt Maya Zehden von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Potsdam auf WELT-Anfrage. Es habe in der Vergangenheit einfach zu viele Übergriffe gegeben. Eine Kippa etwa in der U-Bahn zu tragen, bezeichnet sie als „selbstmörderisch“.

Der Anwältin Vladislava Zdesenko gefällt der Tweet von Maas hingegen. Die Berlinerin berät ehrenamtlich Familien und Kinder, die von Antisemitismus betroffen sind. Vielerorts provoziere das Kippa-Tragen, sagt sie WELT. „Doch können wir genau damit das Ausmaß und die Verbreitung des offen gelebten Judenhasses ans Licht bringen und aktiv angehen.“ Mit dem Offenbaren erreiche man viel mehr als mit dem Verstecken.

Leider bleibe die Ansage zum Kampf gegen Antisemitismus aus den Reihen der SPD abstrakt und wenig glaubhaft, denn ihre Personalpolitik sende eine gegenteilige Botschaft. „Bis heute ist ihr Arbeitskreis gegen Antisemitismus mit einer Bundesbeamtin besetzt, die über ihren Twitteraccount regelmäßig hämische Kommentare über Israel veröffentlicht und unter ihren Veröffentlichungen duldet, sich hingegen zu keinem der antisemitischen Angriffe oder solchen auf Israel und Israelis äußerte“, sagt sie mit Blick auf die in Teilen der jüdischen Community umstrittene Sawsan Chebli.

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Die Berliner Staatssekretärin für bürgerschaftliches Engagement hatte sich zuletzt an einer Aktion der „Bild“-Zeitung beteiligt und sich mit Papier-Kippa ablichten lassen, um ein Zeichen gegen Judenhass zu setzen.

Daniel Kohn aus dem Vorstand der „WerteInitiative – jüdisch-deutsche Positionen“, sagte WELT: „Mit seiner Aussage, dass sich Juden in Deutschland nicht überall gefahrlos durch religiöse Symbole als Juden zu erkennen geben können, hat er den Finger in die Wunde gelegt und eine wichtige Debatte über die Sicherheit der Juden in Deutschland angestoßen.“ Jeder, der einmal in einer Synagoge in Deutschland gewesen und dort von Polizei, Sicherheitspersonal, Mauern und Panzerglas umgeben gewesen sei, werde kaum etwas anderes behaupten können.

Die Aufforderung von Maas, die Kippa im öffentlichen Raum nicht zu verstecken und damit offensiv Gesicht zu zeigen, unterstütze man. „Dazu gehört jedoch auch, dass sich quer durch alle politischen Bereiche eine stringente Haltung sowie resolutes Handeln gegen jeglichen Antisemitismus zieht.“

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Klein hat mittlerweile nachgelegt. „Ich rufe alle Bürgerinnen und Bürger in Berlin und überall in Deutschland auf, am kommenden Samstag, wenn in Berlin beim ‚Al-Kuds-Tag‘ wieder in unerträglicher Weise gegen Israel und gegen Juden gehetzt wird, Kippa zu tragen“, sagte der Antisemitismusbeauftragte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit Blick auf die von Iran gesteuerte Demonstration in Berlin. Damit sorgte er erneut für maximale Verwirrung. Hatte er nicht grade noch genau davor gewarnt?

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„Ich halte davon überhaupt nichts“, sagt Lala Süskind vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus am Dienstag vor Journalisten in Berlin. „Wenn ich etwas Positives für die Gemeinschaft machen möchte, muss ich nicht unbedingt eine Kippa aufsetzen. Ich glaube nicht, dass man damit etwas bewirkt.“

Sie wünscht sich einen stärkeren Austausch zwischen dem Antisemitismusbeauftragten und jüdischen Gruppen, um mehr Verständnis für die Sorgen und Ängste von Juden zu schaffen. Dennoch sei Klein der Richtige für den Job.

„Gesicht gegen Antisemitismus müssen die Nichtjuden zeigen. Juden müssen in erster Linie sicher existieren können“, sagt Sergey Lagodinsky, frisch gewählter EU-Abgeordneter der Grünen und Mitglied in der Berliner Antisemitismus-Task-Force von Sawsan Chebli. „Ich verstehe seine Aussage daher eher in Richtung nichtjüdische Bevölkerung.“

Die Debatte sei eine „Dauerschleife“: „Es bringt wenig, einen Tag pro Jahr Kippa für alle zu fordern, wenn der Rest des Jahres das Risiko von Juden alleine getragen wird.“ Wichtig seien konkrete Maßnahmen, insbesondere eine Bildungsoffensive für Schüler und eine Fortbildungsoffensive für Lehrer, Polizisten und Sozialarbeiter.

Antisemitismus als alltagsprägende Erfahrung

Klein verteidigt seinen Aufruf, am Samstag auf der Gegendemonstration zum Al-Kuds-Aufzug Kippa zu tragen. Auch dieses Statement sei als Beitrag innerhalb seiner Strategie zu verstehen, die Gesellschaft in Deutschland insgesamt für den Kampf gegen Antisemitismus zu gewinnen.

„Hier scheint mir die erwünschte Herstellung von großer Aufmerksamkeit ebenfalls gelungen zu sein, worüber ich mich freue. Im Übrigen ist seit Längerem geplant, dass ich selbst als Redner auf der Gegendemonstration zum Al-Kuds-Tag auftrete.“

„Felix Kleins Aufforderung an die Mehrheitsgesellschaft, sich dem Al-Kuds-Marsch am Samstag symbolisch entgegenzustellen, ist begrüßenswert“, sagt Kohn von der Werte-Initiative. Auch wenn die wenigsten der Forderung folgen würden, eine Kippa zu tragen, fragten sich viele, warum: Um keinen Anfeindungen ausgesetzt zu sein. „Wir freuen uns über jeden Demokraten, der sich dem antifreiheitlichen und antisemitischen Al-Kuds-Marsch am Samstag entgegenstellt.“

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Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) sagte WELT, Antisemitismus sei für Jüdinnen und Juden in Deutschland seit Jahren eine alltagsprägende Erfahrung. „Sie sind täglich gezwungen, das Verhältnis zwischen ihren vielfältigen jüdischen Identitäten und der potenziellen Konfrontation mit antisemitischen Äußerungen und Taten auszuhandeln.“ Das betreffe insbesondere Fragen der Sichtbarkeit, aber beispielsweise auch die Wahl des Wohnortes.

Staat und Zivilgesellschaft müssten sicherstellen, dass die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Frage der Sichtbarkeit sei. In einer offenen Gesellschaft wie der Bundesrepublik könne die Sicherheit von Juden nicht zur Verantwortung der Betroffenen gemacht werden.

Für 2018 registrierte RIAS in der Bundeshauptstadt 47 antisemitische Vorfälle, von denen insgesamt 73 Juden, die als solche beispielsweise durch das Tragen einer Kippa erkennbar waren, betroffen waren. Im Vorjahr 2017 waren es noch 33 Vorfälle mit 67 Betroffenen. Vorfälle, die sich online abspielten, sind hier jeweils nicht berücksichtigt.

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„Diese Aufgabe ist auch durch die Migrationsbewegungen größer geworden“

Außenminister Heiko Maas (SPD) will den Kampf gegen wachsenden Antisemitismus verstärken. Durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahre, sei die Aufgabe größer geworden. Nun soll ein Netzwerk gegen Antisemitismus helfen.

Quelle: WELT/Christoph Hipp

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